- Dirk Elsemann

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Selbstbauelektronium


Zum Schrecken meiner Eltern bekam ich 1993 eine elektronische Orgel der Marke Philips vom Typ Philicorda 22 GM 761 geschenkt. Das Instrument erhielt in einem unserer 8 Kellerräume seinen Standort. Der bis dahin "Bügelkeller" genannte Raum wurde von mir umbenannt in "Orgelkeller" (weil die Orgel definitiv mehr Platz einnahm als das Bügeleisen), bot aber weiterhin allen bügel- und mangelwilligen Bewohnern meiner Familie die Möglichkeit, Wäsche ordnungsgemäß zu bügeln.

Diese Philicorda basierte auf 12 Tongeneratoren mit nachgeschalteten Frequenzteilern (SAJ 110 (übrigens ein teures IC, zu dessen Preis man im Restaurant locker ein Menue für zwei Personen verspeisen kann!)). Eine Menge lustiger und vor allem farbenfroher Kabelbäume führte alle Töne sämtlicher Fußlagen an alle Tasten (das bedeutete für eine Taste einen Kontakt pro Fußlage (bei 16', 8', 4', 2 2/3' und 2' waren das immerhin schon 5 Kontakte!)). Im Fachjargon heißt dies "Verharfung"!
Ausgestattet war die Orgel mit einem Vibrato, welches natürlich auf alle "Werke" wirkte, sowie einem Kassettenrekorder und einigen Reglerchen, mit deren Hilfe man den Philips-Sound der trockenen Raumakustik des kleinen Orgelkellers anpassen konnte. Zusätzlich verfügte das Instrument noch über 4 feste Kombinationen, dessen Einschaltknöpfe sich unter dem II. Manual befanden, sowie über ein beleuchtetes Notenpult, das ich im Dunkeln sehr gerne genoß.

Da das Instrument leider nur ein Stummelpedal mit 13 Tasten besaß und ich von einer Ahlborn-Röhrenorgel aus den 60er-Jahren (ehemals in der Herz-Jesu-Kirche Bocholt) eine 30-tönige Pedalklaviatur, die dazugehörenden Tastenkontakte sowie die entsprechende Orgelbank abmontieren durfte, lag es nahe, meine Philicorda aufzustocken. Die Tastenkontakte wurden in einem Holzgehäuse untergebracht, welches dann als Standfläche für die Orgel diente (die alten Standfüße der Orgel wurden deshalb abgesägt). Die Schaltungen für die Registerfilter entnahm ich dem heute leider vergriffenen Buch "Elektronische Orgeln im Selbstbau" von Helmut Tünker. Die Pedaldisposition habe ich zeitgleich geändert, wobei ich mich allerdings an die ursprüngliche leider nicht mehr erinnern kann.

Der Tastenumfang in den Manualen reichte allerdings auch nur bis zum c3. Da mir das zu wenig war, schweißte mein Vater, dem ich auf diesem Wege für seinen dauernden Einsatz an meinem Instrument danken möchte, zwei Stücke zweier Klaviaturrahmen (ebenfalls von der oben erwähnten Ahlborn-Orgel) mit 7 Tasten an die vorhandenen Klaviaturen. Leider mußte aufgrund des nun vorherrschenden Platzmangels der originale Philips-Kassettenrekorder weichen. Von diesem Status existieren leider keine Photos!

Da die Töne von Taste zu Taste unterschiedlich laut waren, dachte ich mir, daß ein wenig Kontaktspray auf den Chorlinien nicht schaden könne. Was ich nicht wußte war, daß die leitfähigen, gummierten Chorlinien eben dieses Kontaktspray nicht vertragen würden. Nun mußte mit einem Messer jede Chorlinie von diesem nun nicht mehr leitfähigen Gummi befreit werden, damit überhaupt wieder ein Ton erklingen konnte. Dies hatte allerdings zur Folge, daß die Töne im Ansatz nicht mehr so weich kamen wie ursprünglich.

Die nächste Ausbaustufe der Orgel war der Einbau von vier freien Kombinationen. Diese wurden in einem Holzgehäuse untergebracht, welches als Überbau auf der Orgel seinen Platz fand (das Holz stammt vom Klappdeckel der vielfach erwähnten Ahlborn-Röhrenorgel und deckt sich nun leider nur mit der ebenfalls von dieser Ahlborn-Orgel stammenden Orgelbank). Als Schalter kamen KFZ-Einbauschalter von Conrad-Electronic zum Einsatz. Gleichzeitig tauschte ich das Schwellpedal gegen ein "neues" aus (ebenfalls aus der oben erwähnten Ahlborn-Orgel).

Es kam nun der Zeitpunkt, an dem ich weder mit den Klaviaturen, noch mit der Tonerzeugung zufrieden war. Ich besorgte mir somit zwei Kunststoff-Druckpunktklaviaturen der Marke Fatar (61 Tasten). Diese waren zunächst für eine serielle Ansteuerung gedacht und wurden von mir so umgebaut, daß ich sie parallel ansteuern konnte.

Die originalen Tongeneratoren von Philips konnten somit - zumindest für die Manuale - nicht wiederverwendet werden. Es stand nun also der Bau von 244 Enzeltongeneratoren an (Rechteckgeneratoren mit anschließender Frequenzteilung). Jede Taste erhielt somit zwei Tongeneratoren, einen für die Oktaven und einen für die Quinten aller Fußlagen, so daß auch diese rein gestimmt werden können. Diese große Anzahl an Generatoren fand Platz in einer Kiste, die nun hinter der Orgel hängt. (Angemerkt sei an dieser Stelle, daß das IC SN 7413 zwei Generatoren beinhaltet, ich aber nur einen verwendet habe, da ich nicht wußte, in wieweit sich zwei Generatoren "in einem Gehäuse" beeinflussen würden (somit habe ich jeweils die Hälfte der ICs verschenkt).

Da ich ahnte, daß die Tongeneratoren einen relativ hohen Stromverbrauch hatten, schalteten die Tastenkontakte nun Reed-Relais (30V !!!!) und diese wiederum die Tongeneratoren. Diese 122 Reed-Relais fanden Platz in einem seitlichen Anbau links neben der Orgel, an deren Oberseite nun auch die 1. Kombination (sprich "Handregister") untergebracht ist. Ebenfalls in diesem seitlichen Anbau wurde die Manualkoppel untergebracht. Das Pedal nutzte weiterhin die ursprünglichen Philips-Generatoren mitsamt der Ahlborn-Kontaktierung.

Nach Einbau der Generatoren mußte ich die Klangformung, sowie die Verstärkeranlage ebenfalls aus der Orgel entfernen. Zwei neue Endstufen mit zahlreichen Vorverstärkern (4 Kanäle) sowie eine Menge an Platinen für die Klangformung wurden nun angefertigt. In der Orgel befinden sich zwei Tieftöner (Kanal 1) und ein Mittel- sowie ein Hochtöner (Kanal 2). Außerhalb der Orgel befinden sich noch zwei Breitbandlautsprecher für das II. Manual (Kanal 3 + 4).

Die Freude am Spiel währte allerdings nicht lange, denn durch die Induktionsspannungen an den Reed-Relais wurden die Gummikontakte unter den Tasten schnell schwarz (einer brannte sogar gänzlich weg), so daß ich mir wieder etwas Neues einfallen lassen mußte.

Die Reed-Relais wurden entfernt und 122 Transistor-Schaltstufen installiert, so daß nun nur noch geringste Ströme nötig sind, um der Orgel Töne zu entlocken. Doch das nächste Problem war auch schon bereits da:
Die Generatoren waren von mir alle völlig gleich aufgebaut. D.h. es konnte jeder Generator mit dem Trimmpotentionmeter auf jede Tonhöhe innerhalb einer Oktave eingestellt werden. Somit war die Verstimmung schon wenige Minuten nach der ersten Generalstimmung hinüber (Mitteltönigkeit wäre dagegen wohltuend gewesen!!!). Daraufhin ermittelte ich eine Anzahl fester Werte von Widerständen und kombinierte diese mit Spindeltrimmern (100 W). Somit ist jetzt tatsächlich eine Feinstimmung möglich, die ich allerdings ca. ein mal im Jahr machen muß. Denn aufgrund von Geldknappheit in jungen Jahren habe ich beim Kauf der riesigen Stückzahlen aller Bauelemente selbstverständlich weniger auf Toleranzen bei Temperaturunterschieden geschaut denn auf den Preis.

Die nächste Ausbaustufe war die Entfernung der alten Tastenkontakte im Pedal, die Anbringung von Micro-Schaltern an den Pedaltasten, der Einbau von 60 Generatoren im Pedalkasten, sowie der Einbau der beiden bis dahin nicht vorhandenen Pedalkoppeln. Um zum Stimmen der Pedaltöne nicht ständig die nicht gerade leichte Orgel vom Sockel heben zu müssen, verlegte ich die Spindeltrimmer mit verdrillten Leitungen (der Optik halber) an die Rückwand. Die weißen Kabel führen von der Pedalklaviatur an die Pedalkoppel-Relais, die blauen sind nur eine Fortführung derer und führen zu den Generatoren, die gelben sind für die Pedalkoppel I/P, die roten für die Pedalkoppel II/P und führen zu den Generatoren des I. und II. Manuals. Die Pedaldisposition änderte sich dahingehend, daß es zusätzlich nun einen Praestant 32' gab, eine Bombarde 32' (denn die Nachbarn sollen schließlich auch Ihre Freude an diesem schönen Instrument haben!) sowie eine - wie ich früher scheinbar dachte - unersetzliche Pedalmixtur 3f., die bei G, c0, g0 und c1 repetierte, was ziemlich beschissen klang. Aber: es gab nun endlich eine Pedalmixtur!!!

Jetzt war das Werk bis auf einige Kleinigkeiten vollbracht. In der Folgezeit sind noch eine freie Pedalkombination, ein Kopfhöreranschluß, zwei Pistons vom alten Breil-Spieltisch aus Heilig Kreuz/ Bocholt (für Pedalkombination und Tutti), ein neues Notenpult sowie Beleuchtungen angebracht worden. Und damit ich hinter der Orgel auch mal den Staub entfernen kann (falls Besuch kommt) und damit ich auch wenigstens einmal im Jahr ohne Probleme stimmen kann, habe ich ein Rollpodest für selbige gebaut. So kann ich die Orgel mit einer Hand und Leichtigkeit durch mein Gemach rollen.
Ach ja, noch etwas: die bis dahin als unersetzlich geglaubte Pedalmixtur 3f. wurde aufgegeben zugunsten einer Clarine 4'.
Was bis zur Veröffentlichung dieser Seite fast niemand wußte: auf diesem nahezu genialen Instrument habe ich selbst mein Examensprogramm zum A-Diplom bis zur letzten Woche vorbereitet (u.a. op.135/b von Max Reger)!

Fazit:
Der Klang ist meiner Meinung nach sicherlich schlechter als beim Philips-Original (der Klang der Zungen erinnert besonders in der 32'-Lage sehr an einen 2-Takter mit Auspuffproblemen, aber das ist eben die klangliche Besonderheit von Rechteckgeneratoren). Jedoch wirkt die Orgel insgesamt aufgrund der 244 sich im kleinen Rahmen verstimmenden Einzeltongeneratoren sehr lebendig. Trotz der sich doch sehr in die Länge gezogenen Bauzeit würde ich es immer wieder so machen. U n d: zum Üben ist es einfach ideal, weil man sich nichts vortäuschen lassen muß, was einfach nicht vorhanden ist (schlechte Anblasgeräusche der "tollen" Digitalorgeln, Hall u.s.w.). Die Disposition würde ich heute allerdings etwas anders gestalten. Denn wer braucht schon eine Zimbel 1/2' im Schwellwerk???


 
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